Freitag, 22. April 2016
aufgerafft.
Ich raffe mich dazu auf, etwas zu schreiben.
Wenigstens ein paar Sätze.

Seit zwei Wochen besteht meine größte Leistung darin, vor elf Uhr aus dem Bett zu kommen. Ich sollte Bewerbungen schreiben. Und abschicken.
Bis jetzt habe ich zwei abgeschickt. Warum fällt es mir so schwer?
Zehn Jahre und ich verstehe den Mist immer noch nicht mal ansatzweise, zumindest fühle ich mich so. Oft fällt es mir so schwer, eine dreizeilige E-Mail zu schreiben wie eine Doktorarbeit.

Ich bekomme noch bis August Bafög-Leistungen für ein Studium, das ich aufgegeben habe. Das ist für mich gelaufen, sobald der achte Monat zu Ende ist.
Ich habe jetzt schon kaum genug Geld für irgendwas, und ich gehe weder 'feiern' noch rauche ich oder nehme irgendwelche Drogen. Ich kaufe nicht mal teure Lebensmittel.

Kein Job, und ich weiß auch nicht, was für einen ich machen kann oder soll. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung, die mir nichts nützt. Ein Fachabitur mit nicht einmal so schlechten Noten, das mir nichts bringt.
Meine Bewerbungen sind gut, ich kann mich ausdrücken und anscheinend wirke ich auch sympathisch auf Fremde.
Warum ist es dann so schwer?

Ich hasse das alles. Ich will hier weg, wenn ich nur könnte, würde ich einen Rucksack packen und meinen Hund schnappen und wäre weg.
Aber der Kleine will auch Futter. Ich bin es ihm schuldig, mich um ihn zu kümmern. Auch wenn ich es fast nicht kann, raffe ich mich jeden Tag auf und laufe mit ihm zwei Stunden lang durch den Wald. Seit ich ihn habe, habe ich fast 20 Kilo abgenommen. Immerhin etwas positives. Ich finde mich trotzdem noch pummelig.
Durch das Abnehmen habe ich Falten im Gesicht bekommen - mein ganzes Leben lang träume ich davon, irgendwann einmal hübsch zu sein, dann schaffe ich es und bin nicht mehr hässlich fett, da kommen die Falten und ich verliere eines der wenigen Dinge, die ich an mir mochte: dass ich immer noch teilweise für unter 18 gehalten werde.
Meine beiden Freunde widersprechen mir natürlich, und ich weiß, dass sie nicht lügen, aber dagegen steht mein Gesicht im Spiegel.

FML.

Ich will kein Hartz-IV-Empfänger werden. Ich träume von meinem eigenen Laden. Ein Buchladen. Mir egal, ob viele sagen, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Ich liebe Bücher.
Ich will einen Buchladen eröffnen, in einer anderen Stadt. Zwei Stockwerke, unten Fantasy-Romane und so etwas, oben ein kleines Café und eine Mini-Arcade. Ein bisschen ein Zufluchtsort für Freaks. So wie ich. So wie meine Freunde. Ich weiß, dass es viele von uns gibt.

Nebenbei versuche ich, zu schreiben. Meine eigenen Bücher und Kurzgeschichten. Aber natürlich liest sie so gut wie niemand, was erwarte ich auch beim herrschenden Überangebot.

Ich mache Kostüme. Selbst ausgedachte und welche, die Buchcharakteren oder Comicfiguren nachempfunden sind. Es macht Spaß und wenn ich sie trage, fühle ich mich schön.

"Du musst was kreatives machen!" sagen sie, wenn sie das sehen, was ich im Rahmen meiner Hobbys mache. Und wie soll ich das machen? Leute im Internet klicken ein paar meiner Bilder ab und zu an, sagen, dass es hübsch aussieht, und gehen wieder.
Ich habe keine Ausbildung als Texter, als Schneider, als Gewandmeister, und ohne will einen eben niemand.
Eine neue Ausbildung kann ich nicht machen. Ich schaffe den Berufsschulteil nicht. Ich ertrage es nicht, behandelt zu werden wie jemand, der gerade von der Realschule kommt. Das klingt arrogant, nicht wahr?
Aber ich habe es versucht. Ich habe versucht, eine zweite Ausbildung zu machen, mit der ich vielleicht ein paar mehr Chancen hätte.
Es geht nicht. Wie kann man auf Englisch nicht mal einen Satz zustande bringen? Die Freude über den Führerschein ist mir so fremd... für mich war das einfach Pflichtprogramm, und es ist schon so lange her...
Eure Probleme... ich will sie nicht kleinreden, das steht mir nicht zu, aber die Probleme der Sechzehnjährigen sind so weit weg von mir und meinem Empfinden. Und trotzdem fühle ich mich nicht erwachsen. Ich will nicht erwachsen sein. Ich will diese Lebensfreude, die diese Lebensanfänger haben. Als ich in dem Alter war, hatte ich sie nie.
Ich fühle mich, als wäre sie mir gestohlen worden. Die Krankheit hat mir so viel gestohlen.

Selbstmitleid?
Mag sein. Aber ich fühle mich weniger selbstmitleidig als verzweifelt. Werft mir Vorschläge vor die Nase, ich weiß, ich werde für jeden einen Grund finden, warum ich ihn nicht annehmen kann.
Ich will nicht faul sein. Ich hasse dieses Herumsitzen. Es ist lächerlich, dass ich das Aufstehen morgens oder Vormittags als Erfolg verbuchen muss, weil ich sonst nichts zustande bringe.

Was soll ich machen, wenn der August kommt und ich nicht mehr weiß, wie ich danach meine Miete bezahlen soll? Das Hundefutter? Wäre mein Hund nicht, wüsste ich nicht, wie ich den Tag überstehen soll.

"Such dir einen Job!"

Was für einen? Wo? Welchen? Welchen Job kann ich schaffen, ohne nach ein, zwei Monaten wieder damit aufzuhören.
Ich würde gerne mit Tieren arbeiten, und wenn es nur ist, den Stall sauber zu halten. Aber auch Tierpfleger brauchen eine Ausbildung, und die Aushilfen machen es ehrenamtlich.
Ich kann Berichte abtippen, ich kann Texte korrigieren, aber auch dafür wollen sie eine ausgebildete Bürofachkraft.
Ich kann viel - aber nichts davon richtig. Ich kann verschiedenes, aber nichts davon ausführlich genug.

Es gibt den schwarzen Hund, es gibt die Gewitterwolke, es gibt den grauen Schleier...

Meine Depression ist ein schwarzer Klumpen, der wie eine Krebszelle in meiner Brust sitzt. Er ist klebrig und hat unzählige, kleine Adern und Tentakeln, die sich in winzigen Verästelungen in meinem ganzen Körper festsetzen. Der Klumpen steuert mich, er bremst mich, er zieht sich zusammen, und er ist immer da, um sicherzugehen, dass ich mich über die schönsten Sachen niemals so freue, wie ich mich freuen würde, wenn er nicht da wäre.
Er dämpft alles, Spaß und Freude und Liebe und alle guten Gefühle fängt er ein wenig ab, so dass nur die Echos von ihnen bei mir ankommen.

Alles wäre anders, wenn er nicht da wäre. Oder?

Der Grund oder die Gründe, warum ich mich nicht schon vor Jahren umgebracht habe, variieren.
Im Moment sind es zwei Menschen in meinem Leben, denen ich glaube, wenn sie sagen, dass es für sie die größte Katastrophe wäre, würde ich sterben, und mein Hund.
Mein wuscheliges, freches, nach Seewasser stinkendes, kleines Lieblingswesen, ich kann dich nicht im Stich lassen.

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